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Dr. Hossam Abdel-Rihem

Ich durfte an einer Führung durch das Trauma Asylzentrum Marienberg teilnehmen. Der Geschäftsführer der VSGP (Vereinigung St.Galler Gemeinde Präsidentinnen & Präsidenten) lobte Sie in den höchsten Tönen. Stolz sagte er, „Es gibt nur zwei Trauma Spezialist-Psychiater in der Schweiz, und zum grossen Glück steht einer von beiden in unseren Diensten.“ Lernen Sie Dr.Amed-Rihem, den langen Mann, mit dem tiefen Gedanken, riesig Lächeln und grosses Herz kennen.


Ich bin begeistert wie Sie so ein komplexes Thema bildlich erklären und verständlich für jedermann machen. Sie haben uns gesagt, das Trauma ist wie eine Glasschüssel die auf den  Boden fällt und in tausend Teile zerbricht. Die Betroffenen können das Problem und die Sequenzen ohne Hilfe nicht einordnen. Noch mehr beeindruckt mich, mit wieviel Mitgefühl und Freude sie ihre Arbeit bewältigen.  Das Thema ist so erschreckend, sogar berührend, aber sie können abschalten und die Menschen mit dem grössten Lächeln begrüssen.  Das imponiert mir!

Täglich hören Sie zu wie andere ihre Geschichte erzählen. Heute sind Sie an der Reihe.  Sie dürfen uns erzählen wie ein Ägyptischer Arzt zu einem Schweizer Arzt geworden ist und die Schweiz zu seinem Zuhause gemacht hat.

Geschichte eines Ausland-Abenteuers
Wie hat für Sie das Ausland-Abenteuer begonnen?
1978 habe ich  in Ägypten begonnen Medizin zu studieren. Ich bekam ein Praktikum in der Balgrist – Uniklinik in Zürich, wo ich mich auf Orthopädie spezialisieren wollte. Nach diesem Praktikum ging ich nach Ägypten zurück und schloss das Studium ab.  Ich durfte 1985 nochmals in die Schweiz für ein weiteres Praktikum. Während dieser Zeit, lernte ich meine Schweizer Frau kennen.

Was haben Sie gefühlt als Sie angekommen sind?  Was haben Sie als fremd betrachtet?
Die Menschen haben andere Haarfarben und Hautfarben als in Kairo, das ist mir besonders aufgefallen. Die Leute waren anders gekleidet. Es war Sommer und die Frauen waren sehr leicht gekleidet. Das ist mir auch aufgefallen.
Der zwischenmenschliche Kommunikationsstil war auch anderes, weniger formal als ich es gewohnt war.

 
Als ich von Miami kam war für mich das Wetter eine grosse Herausforderung. Sie kamen aus Kairo, fanden Sie das Wetter auch schwierig? 
Die kalten Nächte und der Regen haben mir zu schaffen gemacht.  Bei uns war es  heiss oder heisser.
Es war im Winter 85, als ich in der Schweiz ankam, es war sehr kalt und es gab viel Schnee. Ich hatte sogar keinen Wintermantel und bin mit den Sommerschuhen (Halbschuhe) durch den Schnee gelaufen. Da habe ich gelernt, was kalte Zehen  bedeutet.

Wie kamen Sie zurecht mit dem Essen? Es ist bestimmt auch anders als in  Ägypten.
Das Essen war anders – ich esse kein Schweinefleisch, es war mir manchmal umständlich es immer wieder zu erwähnen.
Jede Mahlzeit besteht aus Brot. Es gab dicke Brotscheiben anstatt das gewohnte dünne Fladenbrot.  Es war eine Umstellung. Und es war so schwer. Es war komisch,   dazu reichte man diese ganz kleine Portion Butter und eine kleine Konfi zum Frühstück.  Ich wusste nicht, was es zum Essen gäbe in dieser reichen Schweiz.  Wie sollte die kleine Portion Butter für so eine Menge Brot reichen?
Reis steht auch nicht häufig auf dem Menuplan.  Wir essen Reis zu fast allen Mahlzeiten. Hier gab es Erdäpfel – für uns ein Gemüse.

Ich fragte mich warum nennen sie Kartoffeln  „Herdäpfel“ –  sind sie wie „Kartoffel in die Folie aus dem Herd“?  In Wartau Dialekt sprechen ein „H“ aus, in andere es ist „Erdäpfel“ (Ein Apfel aus der Erde). Ja, es gibt in jedem Dorf einen anderen Dialekt.
Meine Berufskollegen waren so stolz auf die Schweizer  Rivella. Alle sagten ich solle  Rivella trinken –  Diese Rivella kam mir ganz schief in den Hals. Ich konnte das nicht ertragen. Ich fand es furchtbar-    es ist aus Milchserum gemacht – nein, Rivella geht gar nicht.



Jemand hat mir Rivella als eine Art Cola mit Milch beschrieben.  Das hat mir total abgestellt! Wir können vieles von unserer neuen Heimat annehmen, aber Gott sei Dank nicht alles.

Sie sprachen schon Deutsch als Sie gekommen sind – haben Sie auch „Schwyzerdütsch“ verstanden?
Durch mein Deutschstudium in Ägypten, das Praktikum in Zürich und die zwei Jahre mit der Familie in der Schweiz, kam ich gut zu Recht mit der Sprache.  Die Verständigung war akzeptabel und ich verstand fast alles.

Was oder Wer hat Ihnen den Weg erleichtert?
Da ich zuerst ein Praktikum gemacht habe, war es mir bewusst, auf was ich mich einlasse. Die fremde Kultur, die sozialen Strukturen - Ich wollte es annehmen und mich anpassen. Ich war nicht bereit mich aufzugeben, sondern mich anzupassen.  Ich sah es als eine Bereicherung und eigentlich auch  als Fortschritt für mich.
Moralisch unterstützten mich die Familie meine Ehefrau und deren Familie sehr, dafür bin ich sehr dankbar.
In der Klinik waren die Angestellten sehr international, ich hatte einen sehr positiven Eindruck.  Die internationale Atmosphäre war anders als zum Beispiel in einer Fabrik, deshalb habe ich Verständnis für andere.
Die Asylanten stossen auf viel Ablehnung – es ist nicht vergleichbar.

Ich bin auch die Meinung das manchmal wir der Unterschied zwischen Sozialen Klassen verwechseln mit Integration Schwierigkeiten.
Der Einzug in eine neue Heimat ist nicht immer einfach.  Was haben Sie für Schwierigkeiten auf dem Weg gehabt?
Was das Berufliche anbelangt, wusste ich, dass wenn ich etwas erreichen wollte, musste ich es selber erschaffen -  ich kann auf keine Hilfe oder Unterstützung hoffen, höchstens  auf Ablehnung und Absagen. Davon habe ich viel bekommen. 
Ich habe zwei Jahre lang eine Stelle gesucht. Ich hörte ständig: „Bei uns in der Schweiz, als Ausländer  haben Sie keine Chancen“, auch in akademischen Kreisen.  In 1986 gab es kein Netzwerk oder eine Organisation die die Suche an zentraler Stelle katalysiert – es war jeder auf sich gestellt. Es war eine Mut- und Geduldsprobe,  Zweifel  hatte man schon – ich dachte an das, was ich aufgeben hatte.  Aber ich habe an mich geglaubt. Mein Lieblingsfach war Augenoptiker. Ich bekam immer wieder die Rückmeldung, als Ausländer hätte ich keine Chance weil so viele Schweizer dieses Fach studierten.  Dann bin ich Richtung Psychiatrie.  Da habe ich in Bern die Ausbildung begonnen und in den Niederlanden weiter studiert.
Ich habe gewusst, dass mir Steine in den Weg gelegt werden und ich Kritik bekomme.  Ich habe einen starken Willen und Glauben an mich selber gehabt. Ich habe mir überlegt– nehme ich  die Schwierigkeiten als Niederlagen oder sage ich- nein, ich glaube an mich!  Das war eine bewusste Entscheidung.  Ich entschied mich, weiter an mich zu glauben.

Nach den kürzlich ausgestrahlten Reportagen in SRF, Tele Ostschweiz dem Tagblatt und vieles mehr,. hat sich das gelohnt.

Gab es kulturelle Missverständnisse auf dem Weg?
Ich bin seit 29 Jahren in der Schweiz aber vor ca. fünf Jahren habe ich in Basel das Tram nehmen müssen.  Ich dachte, ich fahre nur ein paar Stationen und habe mich für das Kurzstrecken- Abo entschieden.  Ich habe die Schweizer Präzision ausser Acht gelassen und die Zahl der Stopps nicht gezählt. Ich habe einen Busse von 50 sfr bezahlen müssen, weil ich zwei Stationen zu weit gefahren bin.  Ja, das ist kein Anfängerfehler mehr.

Was sind „Kultur Schock“ für Sie?
Der erste Kulturschock war bei unserer Hochzeit. Wir haben in der Schweiz geheiratet. Ich war gar nicht vorbereitet auf dem Fest.  Es gab Spiele. Spielen auf einen Hochzeit? Das habe ich nie gesehen.

Jährliche Steuererklärungen waren neu für mich. Es gibt keine jährliche Steuererklärung in Ägypten.

Die gesamt politisches System und die Demokratie waren anders. Das Verhältnis zwischen dem Volk und den Behörden ist hier anders als in Ägypten. Ägypten ist eine  Kultur wo Autorität- Unterwerfung heisst. Politik (Siasah auf Arabisch) – kommt vom Wort “dressieren“– die Anderen müssen sich kontrollieren lassen –das Pferd muss machen was der Reiter will. Sie denken: „Ich muss mich unterwerfen, wenn ich den Autoritätsstrafe vermeiden will.“
Im Gegensatz heisst auf Griechisch: „Poli“ Mehrzahl, Management der Angelegenheiten des Volkes. Ein riesiger Unterschied in der geistigen Einstellung. Es hat mit Angst zu tun. Hier in der Schweiz sind die Verhältnisse anders. 

Woran haben Sie gemerkt, dass Sie hier „zu Hause“ sind?
Nach der Geburt von meinen Kindern. Dazu gehörte auch der feste Wohnsitz, ein Haus, die Familie. Wir waren der Gesellschaft mehr angeschlossen. Wir waren nicht mehr nur ein Paar – wir waren dann eine Familie. In der Schweiz sprechen alle über Familie – sie meinen die eigene kleine Familie.  In Ägypten sprechen wir von der Grossfamilie mit Onkel, Cousinen usw. Da durften wir uns nicht  mehr fragen, ob wir hier bleiben oder zurückgehen  – dann waren wir wegen unserer Kinder gebunden.  
Vor einiger Zeit hat mir ein Berufskollege bei einer grossen Veranstaltung meinen Namen nicht so genau aussprechen können,  aber ok. Er sagte, „Er ist ägyptischer Arzt, obwohl ich seit 29 Jahren hier tätig bin, bin ich kein Schweizer Arzt. Mit anderen Worten: ich bin kein richtiger Schweizer.

Was gefällt Ihnen am besten an Ihrem neuen Zuhause?
Die Ordnung,  das System der Neutralität, eine gewisse soziale Gerechtigkeit. Wir brauchen keinen Geheimdienst in der Schweiz – alle wissen alles über den anderen. Souveränste, effizienteste Polizei der Welt.

Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Heimat?
Grossfamilie leben
Lockerheit des Seins

Es ist mir ein grosses Anliegen, dass die Leser/innen merken das Integration zwei Seiten hat. Die Asylanten, Migranten müssen sich anstrengen, sie müssen den ersten Schritt machen. Aber es braucht Akzeptanz und Anerkennung aus der Sicht die Schweizer. 

Wie können wir den heutigen Flüchtlingen helfen?
Sie brauchen Unterkünfte – vielleicht in privaten Haushalten und einfache Arbeit bei Familien. 

Viele von diesen Menschen können arbeiten aber nicht so genau und exakt wie die Schweizer es  verlangen –wir müssen bereit sein sie an der Hand zu führen, das braucht eine gewisse Flexibilität.  Einfache Tätigkeiten wie auf dem Bauernhof oder dem Lastwagenchauffeur helfen beim aus- und einladen. Sie brauchen eine Beschäftigung, die Präzision wird es mit diesen Leuten nicht geben. 

Freundlich sein, offen für eine Begegnung – das imponiert den Leuten.

Die Ängste von gewissen Leuten, dass wir uns als Volk verlieren/ übernommen werden, sind unbegründet. Sowieso ist Angst ein schlechter Ratgeber.  Lassen wir uns von dieser Angst nicht leiten  - es ist nie passiert, dass  die Einwanderer in einem Land die Macht übernommen haben.
Ich vergleiche die Schweiz mit Dubai oder Katar. Kleine Länder mit enorm viel Geld.  Sie kommen nicht weiter ohne Ausländer, ob sie wollen oder nicht. Die Medien, die Wirtschaft, die Politiker, sind nicht die Macher – es sind die Arbeiter die es tun. Es ist herablassend und verletzend, wenn sie nicht ernst genommen werden. Wir alle brauchen einander.
 
Vielen Dank für das  Interview und für Ihren unermüdlichen Einsatz in Marienberg.  Ich wünsche Ihnen viel Kraft in die nächste Zeit.
 

Kommentare


excellent and inspiring read. great questions and wonderful answers from a very hard working, strong, swiss doctor. :)

beth wimmer
23.11.2015 - 13:10:05


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